Unbelegte Wirkungsversprechen trotz Mikrokreditzinsen von bis zu über 100 Prozent
Köln, 7. Oktober 2025 – Die Verbraucherzentrale Hamburg hat beim Landgericht Frankfurt am Main Klage gegen den Mikrofinanzfonds-Anbieter Invest in Visions GmbH eingereicht. Der Vorwurf: Irreführung von Verbraucher*innen durch unbelegte soziale Wirkungsversprechen zu Armutsbekämpfung, Geschlechtergerechtigkeit und menschenwürdiger Arbeit (Pressemeldung).
So werbe der Fondsanbieter mit positiven Wirkungen, die methodisch nicht belegt sind. Damit werden Anleger*innen in die Irre geführt, erklärt die Verbraucherzentrale Hamburg in ihrer Pressemeldung. Laut Klageschrift beschränkt sich die Wirkungskommunikation auf reine Output-Daten – etwa Zahl der Kreditnehmerinnen oder Frauenanteil – ohne zu zeigen, welche tatsächlichen sozialen Veränderungen (Outcome) die Mikrokredite bewirken.
FIAN Deutschland begrüßt die Klage. Sophia Cramer, Expertin für Mikrokredite, hebt hervor: „Gerade bei Mikrokrediten ist es entscheidend, ob sie wirklich einen Beitrag zu sozialen Zielen leisten – oder neue Risiken schaffen“.
Konkrete Probleme sind:
- Die Vergabe von Mikrokrediten stellt keine pauschal positive Wirkung dar: Wirkungsstudien zeigen im Durchschnitt keine transformativen und insgesamt heterogene Effekte.
- Hohe effektive Jahreszinsen häufig zwischen 38 – 45 Prozent, in Einzelfällen wie bei Invest in Visions auch über 100 Prozent.
- Mehrfachverschuldung und Überschuldungsprobleme, in Kambodscha und auch in Indien, einem der wichtigsten Investitionsmärkte von Invest in Visions.
„Es ist kaum vorstellbar, dass Kredite mit solchen Zinssätzen langfristig Armut mindern“, so Cramer. „Wirkungsmessung darf kein Marketinginstrument sein, sondern muss glaubwürdig Transparenz über die tatsächlichen Wirkungen herstellen. Dann wird sie zu einem wichtigen Frühwarnsystem, um Anzeichen für etwaige negative Auswirkungen zu erkennen und mit vorbeugenden Maßnahmen reagieren zu können“, so Cramer weiter.
Insa Heinke, Referentin für Südostasien bei FIAN, ergänzt: „Unsere Fallarbeit in Kambodscha zeigt, dass die positive Außendarstellung vieler Mikrofinanzanbieter jahrelang die massiven Überschuldungsprobleme vor Ort überdeckt hat. Wir haben vielfach Menschenrechtsverletzungen in Zusammenhang mit Mikrokrediten dokumentiert. Auch Invest in Visions hat mit ähnlichen Kennzahlen den Eindruck sozialer Wirkung erweckt – obwohl unabhängige Untersuchungen schon seit Jahren auf die Risiken hinweisen.“
Die Klage könnte Signalwirkung für die gesamte Mikrofinanz-Impactinvestment-Branche haben. Viele Anbieter werben ähnlich wie Invest in Visions mit sozialen Wirkungen, ohne belastbare Nachweise vorzulegen. Eine gerichtliche Klärung könnte Maßstäbe setzen, was künftig als seriöse Wirkungskommunikation gilt.
FIAN Deutschland und Sophia Cramer beobachten den Verlauf der Klage und stehen Medien für Einordnungen zur Verfügung.
Quellen
Cramer, Sophia (2025): Briefing. „Wirkungsforschung Mikrokredite und mögliche Erklärungen für ihre Befunde“
Sophia Cramer 2022: „Mikrokredite als Schuldenfalle? Kontroversen, empirische Befunde und aktuelle Entwicklungen“. Wissenschaft und Frieden 2022/4, S. 19-23.
FIAN 2022: „Mikrokredite und Überschuldung in Kambodscha: Landverkäufe, Hunger und Kinderarbeit in Folge von Überschuldung“.
Kontakt
Sophia Cramer: Expertin für Mikrokredite und freie Mitarbeiterin von FIAN. Sie hat die Verbraucherzentrale Hamburg bei der Abmahnung mit wissenschaftlicher Expertise unterstützt.
E-Mail: sophia.cramer@posteo.de
Tel.: 0176/62077198
Insa Heinke: Referentin für Südostasien bei FIAN Deutschland. Sie betreut die Fallarbeit zu Überschuldung in Kambodscha.
E-Mail: i.heinke@fian.de
Tel.: 0221/47449113