Ansätze für strukturelle Hungerbekämpfung werden weitgehend ignoriert
Die Zahl der hungernden Menschen ist laut der Welternährungsorganisation FAO 2024 leicht gesunken. Dem neuen Bericht zur weltweiten Ernährungssicherheit (SOFI) zufolge litten rund 673 Millionen Personen an chronischem Hunger, verglichen mit 688 Millionen im Jahr zuvor. Die Zahl der moderat bis schwer ernährungsunsicheren Menschen sank minimal von 2,29 Milliarden auf 2,28 Milliarden. Insgesamt verbleiben die Zahlen weit über denen vor einem Jahrzehnt.
Hierzu Philipp Mimkes, Geschäftsführer von FIAN Deutschland: „Dass sich so viele Menschen nicht ausreichend ernähren können, ist und bleibt ein Skandal. Dabei sind bei genauem Hinschauen Lösungen bekannt. Der Menschenrechtsansatz, der die Bedürfnisse der Betroffenen ins Zentrum stellt, spielt hierbei eine zentrale Rolle.“
Auch Dr. Ana María Suárez Franco, Generalsekretärin von FIAN International, hebt hervor, dass die Hungerzahlen durch entschlossenes Handeln rasch verringert werden können. So hat Brasilien die Zahl der Personen in schwerer Ernährungsarmut innerhalb von nur einem Jahr um mehr als 80 Prozent reduziert. „Hunger ist kein Schicksal! Durch Mindestlöhne, Schulspeisungen, Geldtransfers an besonders Bedürftige und staatliche Abnahmeprogramme für die kleinbäuerliche Landwirtschaft können die Betroffenen schnell und effektiv erreicht werden. Hierfür ist jedoch politischer Wille notwendig, den Einfluss der Agrarindustrie zu verringern und Reichtum umzuverteilen“, so Suárez Franco.

Marktkonzentration und Spekulation ausgeblendet
FIAN kritisiert, dass der SOFI-Bericht kaum berücksichtigt, dass viele Hungernde selbst Produzent*innen von Nahrungsmitteln sind. Dabei sind Kleinproduzen*innen das Rückgrat zur Sicherung des Rechts auf Nahrung. Dadurch fehlen im FAO-Bericht zentrale Empfehlungen, diese Bevölkerungsgruppe zu stärken, etwa über Agrarreformen oder agrarökologische Initiativen.
Themenschwerpunkt des SOFI ist die Inflation bei den Nahrungsmittelpreisen. Arme Länder („low income contries“) haben demnach in den letzten fünf Jahren eine jährliche Preissteigerung bei Nahrungsmitteln von über 11 Prozent erfahren. Gerade für arme Menschen, die ohnehin schon den Großteil ihres Geldes für Nahrung ausgeben, sind solche Preissteigerungen eine Katastrophe.
FIAN bemängelt, dass der UN-Bericht zu zentralen Treibern dieser Preissteigerungen schweigt: „Marktkonzentration, die gewaltigen Gewinne der Agrar- und Ernährungskonzerne oder Spekulation mit Nahrungsmitteln werden im Bericht weitgehend ignoriert“, so Philipp Mimkes.
Auch wird die wachsende Konkurrenz auf dem Acker ausgeklammert: Immer mehr knappes Land geht für die Produktion von Nahrungsmitteln verloren – beispielsweise für Biosprit oder Baumplantagen.
„Allein die Herstellung von Biosprit für deutsche Autos belegt 1,2 Millionen Hektar Land weltweit. Indem der Bericht zentrale Ursachen für Hunger und Verletzungen des Menschenrechts auf Nahrung ausblendet, schweigt er zu vielen erfolgsversprechenden Lösungsansätzen“.
FIAN fordert entschlossene Unterstützung für öffentliche Politiken, die sich erfolgreich zeigen: Stärkung von Kleinbäuer*innen, Rückendeckung für die internationale Agrarreformkonferenz ICARRD, die im Februar 2026 in Kolumbien stattfindet, oder die lange geforderte Regulierung von Nahrungsmittelspekulation – auch auf EU-Ebene. Auch der Aufbau nationaler und lokaler Nahrungsmittelspeicher ist ein wichtiges Instrument in Krisenzeiten.
Der FAO-Bericht wurde in Addis Abeba am Rande des sogenannten UN Food Systems Summit +4 vorgestellt. FIAN bekräftigt vor diesem Hintergrund die Kritik an diesem Forum: „Der UN Food Systems Summit baut undemokratische Parallelstrukturen im UN-System auf und erhöht die Einflussnahme von Konzernen“, kritisiert Mimkes.
FIAN-Analyse zum Sekretariat des UN Food Systems Summit (UN Food Systems Hub): A Critical Analysis of the UNFSS Roadmap for “Corporate Accountability” of Food Systems Transformation