Am 6. September 2025 luden FIAN Deutschland, der Ernährungsrat Köln und die Volkshochschule Köln zu einem ganztägigen Workshop ins VHS-Studienhaus am Neumarkt ein. Beim Austausch der über 60 Personen aus lokalen Vereinen, Organisationen und Nachbarschaftsinitiativen stand die Frage im Mittelpunkt, wie Köln ein gerechtes Ernährungssystem gestalten kann, das niemanden ausschließt.
Mit einem Impulsvortrag über (Ernährungs-) Armut in Deutschland begann der Armutsforscher Prof. Christoph Butterwegge den Austausch und machte deutlich, dass Armut in einem Land wie Deutschland eine Frage von Verteilungsgerechtigkeit sei. „Armut ist eine politische Entscheidung, getroffen durch die De-Regulierung des Arbeitsmarktes, den Abbau des Sozialstaats und eine ungerechte Steuerpolitik. Wer von Reichtum nicht sprechen will, sollte von Armut schweigen.“


Die Köchin und Armutsaktivistin Heike Towae berichtete eindrücklich von den Folgen dieser Armut, durch die eine gesunde Ernährung nicht möglich sei und der Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben drohe. Die Regelsätze seien so niedrig, dass Eltern regelmäßig zugunsten ihrer Kinder auf Mahlzeiten verzichten würden. Diese Wahrnehmung deckt sich mit einer im Juni erschienenen Studie der Organisation Sanktionsfrei, nach der nur jede zweite Person im Bürgergeldbezug angibt, dass in ihrem Haushalt alle satt werden. Heike Towae findet: „In Köln ist jede vierte Person armutsbetroffen und das ist peinlich für so ein reiches Land.“
Im Anschluss fand im World-Café-Format ein reger Austausch zwischen Vertreter:innen von verschiedensten Initiativen der Stadtgesellschaft statt. So stellte sich etwa das Stadtteil-Projekt „Demogarten“ aus Porz-Finkenberg vor, das die Nachbarschaft aus einer Großwohnsiedlung beim gemeinsamen Anbau und Kochen von Lebensmitteln zusammenbringt. Einen Fokus auf ökologischen Anbau und Ernährungssouveränität legte der Verein treemedia, der die Vorteile der Symbiose von Mais, Bohne und Kürbis (Milpa) erläuterte und eigene Projekte etwa zum Anbau im Allerweltshaus Köln vorstellte. Viele nutzten die Gelegenheit, sich hier zum ersten Mal kennenzulernen und neue Kontakte für gemeinsame Vorhaben zu knüpfen.
Die Suche nach Stadt und Politik
Jan Dreier erinnerte als Referent von FIAN an das Menschenrecht auf Nahrung, welches Staaten dazu verpflichte, das Maximum ihrer zur Verfügung stehenden Ressourcen dafür zu nutzen, damit Menschen sich angemessen und gesund ernähren können. „Aber wir sehen: Der Staat tut das nicht. Sozialleistungen werden abgebaut und Sanktionen verschärft, während das Leben teurer wird, sodass immer mehr Menschen in Ernährungsarmut landen.“ Mirja Buckbesch, Geschäftsführerin vom Ernährungsrat Köln, freute sich über das große Interesse an der Veranstaltung und mahnte gleichzeitig: „Die soziale Schere geht auseinander und nicht alle können sich ein gesundes Essen leisten. Heute sehen wir gelebte Kooperation, die sich für eine angemessener Ernährung Aller einsetzt.“ Ernährungsarmut ist eine Realität in Köln und darüber hinaus. Im Laufe des Tages wurde deutlich, wie viel die zahlreichen Initiativen und Projekte bereits von dem auffangen, was eigentlich auf politischer Ebene gelöst werden müsste. Die Stadt Köln war während der Veranstaltung nicht vertreten.
Die Rolle der Politik war trotzdem Thema in der abschließenden Diskussionsrunde, die moderiert wurde durch Jörn Hamacher vom Ernährungsrat Köln. Karin Führhaupter berichtete von ihrer Arbeit als Leiterin der Tafel Köln. Die Wartelisten der Tafeln seien zunehmend länger, und für viele Betroffene sei kein Zugang zu den Tafeln möglich: „Die Tafel will und kann kein Ersatz für den Sozialstaat sein“. Ihre Ausführungen führten zu einer lebhaften Diskussion über die Rolle der Tafel in der Wahrnehmung von Politik und Gesellschaft. Heike Towae behauptete, Politiker verwiesen zu häufig auf die Tafeln als Maßnahme gegen Hunger, obwohl diese überhaupt nicht allen offen stünden und oftmals keine ausgewogene Ernährung ermöglichen könnten. Daran anknüpfend betonten Katrina McKee vom Demogarten Finkenberg und Katja Hendrichs vom Caritas Zentrum am Kölnberg besonders die soziale Funktion des gemeinsamen Essens, die nicht zu unterschätzen sei. Genug Geld für Essen bedeute auch Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, wie es durch ihre Projekte gefördert würde.


Fazit: Druck auf Politik weiter erhöhen
Der Tag endete mit einem positiven Ausblick: Viele Teilnehmende äußerten den Wunsch, die Vernetzung fortzuführen und die Impulse in Zivilgesellschaft, Verwaltung und Politik einzubringen. Marian Henn, Referent bei FIAN Deutschland, resümiert: „Die Veranstaltung hat gezeigt, dass in Köln ein großer Bedarf an einer öffentlichen Debatte über Ernährungsarmut besteht. Zugleich wurde deutlich, dass das Recht auf Nahrung nicht einfach „von oben“ umgesetzt wird, sondern vor allem durch die täglichen Initiativen und das Engagement von Aktivist*innen erkämpft und in der Praxis lebendig gehalten wird.“ Für FIAN und den Kölner Ernährungsrat bedeutet dies zukünftig den Druck auf die Politik auf verschiedenen Ebenen zu erhöhen und die von Ernährungsarmut Betroffenen dabei unterstützen sich bei Politik, Verwaltung und in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen.
Den Podcast des Deutschlandfunks zur Veranstaltung können Sie hier hören.

Wir danken der Deutschen-Post-Code-Lotterie, die die Veranstaltung im Rahmen des Projekts „Engagement für Menschenrechte und SGGs in Köln“ gefördert hat.